Sub auspiciis principis. Die Außenpolitik Roms in strukturhistorischer Perspektive

Sub auspiciis principis. Die Außenpolitik Roms in strukturhistorischer Perspektive

Organizer(s)
Natalie Stöhr, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt; Christian Wendt, Ruhr-Universität Bochum
ZIP
85072
Location
Eichstätt
Country
Germany
Took place
In Attendance
From - Until
13.06.2022 - 14.06.2022
By
Philipp Köhner, Lehrstuhl Alte Geschichte, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Kann man mit Blick auf die Römische Kaiserzeit von einer Außenpolitik im neuzeitlichen Sinn sprechen und wenn ja, wer hat sie gestaltet und wie wurde sie beeinflusst? Dieser Frage widmete sich eine zweitägige Tagung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, organisiert von Natalie Stöhr und Christian Wendt. Anhand der drei geographischen Räume Germanien, untere Donau und Parthien wurde die Außenpolitik Roms der Frühen und Hohen Kaiserzeit in strukturhistorischer Perspektive beleuchtet.

In ihrer Eröffnungsmoderation erläuterte NATALIE STÖHR die gewählten Fallbeispiele wie folgt: Obwohl sich in Germanien zunächst große Spielräume für den Princeps boten, gerierten die Germanen, bedingt durch alte Traumata aus den Begegnungen mit Kimbern und Teutonen, schnell zum „Angstgegner“ der Römer. Die untere Donau wurde damit zu einer willkommenen „Ersatzlösung“ für größere Gebietsgewinne, obwohl sie als diffuses Gebiet und latenter Krisenherd galt. Das Partherreich dagegen stellte als staatlich definier- und berechenbarer Raum einen definiten Rivalen für die römische Suprematie dar.

Der innovative methodische Ansatz der Tagung lag damit im exemplarischen Vergleich und der Untersuchung der Verkettung sowie gegenseitigen Beeinflussung der von Rom vorgegebenen außenpolitischen „Spielregeln“ mit den regionalen Bedürfnissen in der Peripherie. Als Hauptbetrachtungszeitraum wurden die Frühe und Hohe Kaiserzeit gewählt, da hier die Funktionsträger des Reiches im Gegensatz zur Zeit der Republik länger im Amt waren. So konnte in größerem Maße auf kontinuierliches Verhalten und etablierte Strukturen, Vorgehensweisen und Motive geschlossen beziehungsweise diese untersucht werden. Doch wie agierte „das Imperium“, „die Reichszentrale“ beziehungsweise „der Kaiser“ an den verschiedenen Grenzen seines Reiches und wie lässt sich diese „Außenpolitik“ oder besser gesagt „Politik nach außen“ bewerten? Kann und darf man überhaupt neuzeitliche Konzepte aus der politischen Analyse für diese Zeit verwenden oder muss man sich rein auf die Sprache der antiken Quellen beschränken?

In dieser Grundsatzdiskussion lag sicherlich eines der Hauptaugenmerke der Tagung, deren Beiträge und anschließenden Diskussionen sich wie folgt zusammenfassen lassen:

Werner Eck und Ernst Baltrusch eröffneten die Konferenz mit konzeptuellen Überlegungen, wie man Römische Außenpolitik korrekt benennen kann und wie sich die Römische Vorstellung des „Äußeren“ in den Quellen widerspiegelt. So machte WERNER ECK (Köln) anhand ausgewählter Militärdiplome aus hadrianischer Zeit deutlich, dass sich die Kaisertitulatur je nach Ausstellungsort des Princeps verändern konnte. Verließ der Kaiser etwa Italien und ging in die Provinzen, führte er in seiner offiziellen Titulatur den Titel proconsul mit an, kehrte er zurück in die ursprüngliche res publica populi Romani, legte er den Titel wieder ab. Ebenso führte er den Titel proconsul nicht an, wenn er sich etwa in Athen, einer civitas libera, befand und dort offizielle Dokumente ausstellte. Anhand dieser überzeugenden Untersuchung des epigraphischen Materials wurde deutlich, dass den Zeitgenossen durchaus bewusst war, ob man sich im Zentrum oder der Peripherie des Imperiums aufhielt. Werner Eck vertrat damit das Konzept eines Imperiums, das sich in konzentrischen Kreisen entfaltete mit Rom als Zentrum, Italien als unmittelbarem und den Provinzen als mittelbarem Herrschaftsgebiet. Alles jenseits des Limes sei auch als jenseits des Reiches wahrgenommen worden.

ERNST BALTRUSCH (Berlin) hinterfragte grundlegend, ob sich die römischen Zeitgenossen und vor allem der Princeps das Konzept Außenpolitik als eine Politik mit dem „Äußeren“ überhaupt vorstellen konnten. Er eröffnete damit eine Diskussion, die sich durch die gesamte Tagung ziehen sollte, indem er auf den Beginn des Tatenberichtes von Augustus verwies, wo dieser davon spricht, er habe orbem terrarum imperio subiecit – den Erdkreis der Herrschaft des römischen Volkes unterworfen. Flankiert mit der berühmten Stelle aus dem sechsten Buch der Aeneis, in der davon Rede ist, Jupiter verheiße den Römern ein imperium sine fine – ein Reich ohne Grenze, stellte Ernst Baltrusch damit die grundsätzliche Frage, ob es in der Vorstellung der Römer neben dem eigenen Weltreich überhaupt ein „Außen“ gegeben habe, mit dem Politik betrieben werden könne. Wenn der Princeps Politik mit Völkern am Rande der Oikumene betreibe, so behandle der Kaiser diese laut Sueton als membra partisque imperii – als Glieder und Teile seines Reiches. Laut principaler Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung existiere also kein „Außen“ neben dem Imperium Romanum und damit auch kein „außenpolitisches Handeln“. Jedes Agieren mit oder gegen Völkerstämme, Klientelkönige oder Staaten in der Peripherie müsse zusammengefasst werden unter dem Stichwort „Binnenorganisation des Römischen Weltreiches“. Diese These löste eine Debatte über den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Principats aus, die sich gerade in den Vorträgen zu den geographischen Fallbeispielen noch weiter vertiefen sollte.

REINHARD WOLTERS (Wien) wendete mit seinem numismatischen Beitrag den Blick auf die mediale Perspektive des Konferenzthemas und damit auf die herrschaftliche Repräsentation siegreicher Kaiser in Außen- und Kriegspolitik. Er präsentierte eine Reihe an typischen Münzbildern sämtlicher römischer Nominale und erläuterte Tradition und Innovation der Bildsprache von Augustus bis Hadrian. Erwähnt seien exemplarisch Augustus‘ signis receptis-Prägungen im Zuge der Auseinandersetzung mit den Parthern, die Judaea beziehungsweise Germania capta-Münzen der Flavier sowie die locupletator beziehungsweise restitutor orbis terrarum-Prägungen Hadrians. Aus dem Vortrag wurde deutlich, dass es eine Reihe an Chiffren gab, die seit Augustus im kollektiven Bildgedächtnis der Römer präsent waren und somit nicht nur leicht erkennbar waren, sondern Rückgriffe auf die Bildprogramme bereits siegreicher Kaiser erlaubten.

Ein weiterer zentraler Diskussionspunkt gerade mit Blick auf die drei ausgewählten Fallbeispiele lag in der Interpretation des unterschiedlichen Umgangs Roms mit den regionalen Differenzen an seinen Grenzen. Ist es plausibel, mit Blick auf Dakien etwa von einer generell „angepassten Außenpolitik“ zu sprechen, wie der Vortrag von Alexander Rubel es zu rehabilitieren versuchte? Oder muss man gerade mit Blick auf Germanien, wie Christian Wendt es in seinem Beitrag betonte, nicht eher von genereller „principaler Überforderung“ an den Grenzen und rein reaktivem Handeln der Reichszentrale sprechen?

Der Aufhänger dieser Debatte lag in der Interpretation der Handlungsspielräume des Princeps und damit in der notwendigen kritischen Analyse der oft kaiserkritischen Quellen, die uns immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit präsentieren und daher verschiedene Deutungen zulassen. ALEXANDER RUBEL (Iaşi) präsentierte deshalb in Ergänzung zu den literarischen Quellen neue Grabungsfunde aus (L)ibida am pannonischen Limes, hob die strategische Defensivpolitik Roms im 4. Jahrhundert hervor und versuchte damit das eigentlich bereits überkommene Luttwaksche Konzept der grand strategy zu retten.

CHRISTIAN WENDT (Bochum) dagegen, der gleich zu Beginn seines Vortrags die Situation Roms und Germaniens als „Modell einer diffizilen Verflechtung zweier Instabilitäten“ charakterisierte, wendete sich bewusst gegen das Bild einer von langfristigen Strategien geprägten Außenpolitik Roms. Seine gewollt herausfordernde These sollte zum Überdenken einer allzu strategisch und langfristig denkenden Reichszentrale führen. Zurecht wurde sie jedoch mit Blick auf die beiden anderen Fallbeispiele in der Abschlussdiskussion relativiert und Christian Wendt sprach sich schließlich für eine medium strategy Roms aus, die nach unterschiedlichen Räumen differenziert agierte.

Dieser Deutung schloss sich auch KARL STROBEL (Klagenfurt) an, indem er auf die besondere Rolle der Statthalter vor Ort verwies. Diese müssten zwingend vorformulierte mandata besessen haben, nach denen sie ihre Politik an den Grenzen sowie die Beziehungen zu den Nachbarvölkern gestalteten. Man dürfe sich nicht von der kleinlichen Korrespondenz der ständigen Rückversicherung Plinius‘ des Jüngeren mit Trajan verleiten lassen, diese als Standardkommunikation anzusehen. Der bei Cassius Dio erwähnte Statthalter Marcus Iallius Bassus etwa habe eigenständig mit einer Gesandtschaft verhandelt und dadurch Grenzzwischenfälle bereinigt. Solch ein Vorgehen müsse man in etlichen weiteren Fällen annehmen, auch wenn uns die Quellen überlieferungsbedingt dafür nicht zur Verfügung stünden. Festzuhalten sei laut Karl Strobel also, dass Außenpolitik – trotz überlieferter Quellendarstellung – eben nicht nur im Militärischen, sondern auch im Diplomatischen, etwa in Gesandtschaften, greifbar sei.

Die These, dass sich Außenpolitik nicht nur militärisch entfaltet, unterstützte auch SVEN GÜNTHER (Changchun) mit seinem Beitrag zur antiken Bewertung der römischen Partherpolitik, indem er vor allem die persönliche Wirkung des Princeps starkmachte und an numismatischen Beispielen etwa dessen nicht militärischen Einfluss auf Völkerschaften zwischen dem Machteinfluss Roms und Parthiens darstellte. An den Vortrag schloss sich eine weitere Grundsatzdiskussion an über die korrekte Einordnung der Beziehungen zwischen Rom, den Parthern und ihren Zwischenvölkern, etwa den Armeniern und Osrhoenern. Während Sven Günther diese als ein Netzwerk internationaler Beziehungen bezeichnete, sprach sich Karl Strobel gegen diese moderne Deutung aus und wollte lieber von rein bilateralen Beziehungen Roms mit fremden civitates sprechen. Natürlich könne man das moderne Konzept der internationalen Beziehungen nicht direkt auf die Antike übertragen, aber laut Sven Günther könne man etwa mit Blick auf das senatus consultum de Gnaeo Pisone patre auch nicht abstreiten, dass die mit Rom in Beziehung tretenden fremden Völker selbst mit anderen Völkern und Gegnern Roms in Kontakt standen und dementsprechend vernetzt dachten und handelten. Erneut wurde deutlich, dass uns die erhaltenen römischen Quellen nur einen Teil der Wirklichkeit und vor allem allein die römische Sicht vermitteln.

Auf diesen Sachverhalt machte auch Natalie Stöhr in der Abschlussdiskussion aufmerksam und betonte, dass man gerade in der Bewertung der Römischen Außenpolitik distanziert zur Wertung der römischen, vor allem senatorischen Quellen gehen müsse, die das expansive auf Weltherrschaft ausgelegte Ideal des Principats formulierten und dementsprechend alle politischen Entscheidungen des Princeps werteten. Das Ideal des guten, sprich sieghaften Kaisers mag zwar bedeutet haben, im Felde erfolgreich zu sein und das Imperium territorial auszudehnen. Dies führte jedoch oft zur Überdehnung der eigenen Kräfte und damit zu fatalen Folgen. In der modernen Bewertung seien folglich genau diejenigen Kaiser als klug zu bezeichnen, die eher defensiv agierten und damit jene Überdehnung der Kräfte verhinderten, wie etwa Tiberius, der die Eroberungen in Germanien unter Augustus zurücknahm oder Hadrian, der die Eroberungen Trajans revidierte.

Dass sich Römische Außenpolitik in den antiken historiographischen Quellen allzu oft nur in Kriegspolitik ausgehend von Konflikten an den Reichsgrenzen äußere, sei laut Reinhard Wolters im Verlauf der Tagung in allen Vorträgen deutlich geworden. Er stellte jedoch überraschend fest, dass die Ursachen dieser Konflikte, die eine Politik nach außen erst nötig machen, komplett beiseitegelassen wurden. So hätte man etwa die wirtschaftlichen, geographischen, aber auch klimatischen Ursachen für eine Notwendigkeit von Außenpolitik noch stärker in den Fokus nehmen können.

Zurecht erwiderte Christian Wendt, dass der Fokus der Konferenz bewusst auf die unterschiedlichen Strukturen und Handlungsräume der Römischen Außenpolitik an den drei gewählten Grenzen gelegt wurde und die Behandlung der Konfliktursachen mit Sicherheit eine eigene Konferenz wert wäre. Die Tagung habe laut Christian Wendt auf jeden Fall deutlich gemacht, dass in der Untersuchung der Außenpolitik der Frühen und Hohen Kaiserzeit weiterhin ein Desiderat der Forschung liege. Während es zahlreiche Untersuchungen zur Zeit der Republik1 und der Spätantike2 gebe, habe man bisher – bis auf wenige Ausnahmen wie etwa Nadine Grotkamps Dissertation zum Völkerrecht im Prinzipat3 – die Kaiserzeit gemieden. Dies liege mitunter an der bereits mehrfach diskutierten ideologischen Grundsatzfrage, ob es für die Römischen Principes überhaupt ein „Außen“ gegeben habe, mit dem man Politik betreiben könne, oder ob alles vermeintliche Handeln Roms „nach außen“ nicht eigentlich als Innenorganisation des Reiches verstanden wurde. Mit ihrer im Zuge dieser Tagung geplanten Dissertation zur Römischen Außenpolitik in strukturhistorischer Perspektive beschreitet Natalie Stöhr definitiv Neuland und wird mit ihrer Arbeitet einen wichtigen Beitrag leisten, diese Forschungslücke zu schließen.

Konferenzübersicht:

Natalie Stöhr (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt), Christian Wendt (Ruhr-Universität Bochum): Begrüßung

Werner Eck (Köln): Überlegungen zur Thematik

Sektion 1: Grundlagen der römischen Außenpolitik
Moderation: Frank Daubner (Universität Trier)

Ernst Baltrusch (Freie Universität Berlin): Imperium, Imperialismus, Außenpolitik – politische Konzepte in der römischen Kaiserzeit

Julia Wilker (University of Pennsylvania): „Weil er das Vertrauen des Princeps genoss…“. Persönliche Beziehungen als Faktor der imperialen Außenpolitik – ausgefallen –

Reinhard Wolters (Universität Wien): Siegreiche Kaiser. Außen- und Kriegspolitik als herrscherliche Repräsentation

Sektion 2: Strukturen der römischen Außenpolitik in Germanien
Moderation: Natalie Stöhr (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

Christian Wendt (Ruhr-Universität Bochum): Germanien und der Prinzipat – Außenpolitische An- und Überforderungen

Sektion 3: Strukturen der römischen Außenpolitik in Dakien
Moderation: Ernst Baltrusch (Freie Universität Berlin)

Karl Strobel (Alpen-Adria Universität Klagenfurt): Die römische Politik an der Donaulinie zwischen Reaktion, Aggression und Diplomatie

Alexander Rubel (Institut f. Archäologie der rumänischen Akademie, Iaşi): Römischer Einfluss im Barbaricum zwischen Diplomatie, Klientelpolitik und Defensivstrategie: neue Methoden des Machtmanagements in der Spätantike

Sektion 4: Strukturen der römischen Außenpolitik in Parthien
Moderation: Michael Rathmann (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

Sven Günther (Northeast Normal University Changchun): ... plusque Caesar magnitudine nominis sui fecit, quam armis facere alius imperator potuisset (Iust. 42,5,12). Antike Perspektiven auf die „Partherpolitik“

Christian Wendt (Ruhr-Universität Bochum): Abschlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Z.B. Alfred Heuß, Die völkerrechtlichen Grundlagen der römischen Außenpolitik in republikanischer Zeit (Klio Beiheft 31), Leipzig 1933; Christian Wendt, Sine fine. Die Entwicklung der römischen Außenpolitik von der späten Republik bis in den frühen Prinzipat, Berlin 2008.
2 Z.B. Raimund Schulz, Entwicklung des römischen Völkerrechts im vierten und fünften Jahrhundert n. Chr. (Hermes, 61), Stuttgart 1993.
3 Nadine Grotkamp, Völkerrecht im Prinzipat. Möglichkeit und Verbreitung, Baden-Baden 2009.

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